Träumen wir nicht alle heimlich davon auszuwandern? Dort wohnen, wo es warm ist. Die Trails hinter dem Haus, das Meer vor der Tür. Die Sonne geht jeden Abend im Ozean unter. Das Essen ist lecker und Marihuana legal. Milch und Honig fließen in den Flüssen. Freiheit ist grenzenlos. Kurz: das Paradies! Diese Gedanken sind auch Richie Schley jahrelang durch den Kopf gegangen. Jetzt wohnt der Kanadier seit ein paar Jahren in Kalifornien.
Die Sonne spiegelt sich auf dem Meer, als ich nach Laguna Beach fahre. Die Straßen sind gesäumt von hübschen, kleinen Läden und Galerien. Surfer sind auf dem Weg zum Strand. Große Pick-up-Trucks rollen an mir vorbei. Als ich am „Main Beach Park“ vorbeifahre, spielen ein paar Jungs auf einem Freiplatz Basketball.
Ich treffe Richie in seinem Lieblingsrestaurant. Wir sitzen auf der Terrasse, es gibt Tacos und frisch gepresste Säfte. Richie erzählt, dass er sich in Whistler natürlich auch wohl gefühlt hat. „Aber hier scheint einfach jeden Tag die Sonne – das gibt es in Kanada leider nicht. Sonst wäre ich gerne dort geblieben. Außerdem wohnen meine Kumpels Brian Lopes und Hans Rey hier in Laguna. Gleich um die Ecke ist auch mein langjähriger Sponsor CrankBrothers ansässig. Das alles hat meine Entscheidung damals dann doch relativ leicht gemacht.“ Seit vier Jahren lebt Richie jetzt in Laguna, und heute will er mir zeigen, warum. Wir beenden unser Frühstück, um ein paar Trails fahren zu gehen. |
„Life is easy here in Laguna!“, sagt er und steigt in sein Golfcart. Ich springe hinten drauf, und wir fahren zu ihm nach Hause. Als wir ankommen, tauschen wir die Flip Flops gegen Bikeschuhe. In seinem Schuppen hängt ein Bike neben dem anderen, Kisten voller Reifen und anderer Bikeparts stapeln sich übereinander. Am liebsten hätte ich noch ein bisschen gestöbert, aber Richie sitzt schon im Sattel. Also machen wir uns zusammen an den Uphill. Über eine ruhige Straße pedalieren wir vorbei an schönen Häusern, vor denen dicke Trucks und SUVs stehen. Aber nicht nur: Selten habe ich so viele Elektroautos auf einem Fleck gesehen. Immer wieder haben wir eine wunderbare Aussicht auf das glitzernde Meer.
Wir kommen an einen kleinen Aussichtspunkt, an dem sich die Touristen tummeln und Selfies machen. Richie warnt mich: „Sei ein bisschen vorsichtig, die Trails sind ziemlich zugewachsen, und es gibt immer wieder Stellen mit Poison Oak, Gifteichen, die sind wie Brennnesseln, nur noch giftiger. Und ab und zu verirren sich auch kleinere Schlangen oder Skorpione auf die Trails.“ Alles klar, also besser nicht absteigen, denke ich mir, und wir droppen in den Trail. Der Einstieg ist offen und schnell. Wir fliegen über kleine Sprünge und durch Anlieger. Das Terrain ist noch sehr offen und lädt zum Spielen ein. Das ändert sich aber schnell, als wir in den richtigen Trail einbiegen. Die Büsche am Rand kommen immer näher. Die Kurven werden immer enger. Der Staub auf dem Boden wird immer tiefer. Der Staub in der Luft wird immer dichter. Der Staub in meinem Mund wird immer mehr. Ich lasse mich ein wenig zurückfallen, um wieder mehr zu sehen und durchzuatmen. Gerade rechtzeitig sehe ich die Steilstelle über einen großen Felsen. Puh. Arsch hinter den Sattel und Richies Staubwolke hinterher! Ein paar Kurven weiter neigt sich der Trail komplett Richtung Falllinie. Jetzt wird es noch steiler und technischer. Eine kleine Mutprobe jagt die nächste. Zum Glück kennt Richie die beste Linie, und ich versuche, ihm zu folgen. An einem etwas größeren Drop wartet er auf mich und zeigt mir den Chicken Way, bevor er über die Kante rollt. Bin ich froh, dass ich da nicht runter muss. Ein paar schnelle, flowige Turns später rollen wir durch den Laguna Canyon zurück Richtung Stadt. |
„Es gibt hier in Laguna wirklich viele Trails und auch eine relativ große, aktive Mountainbike-Szene. Das macht wirklich Spaß und zwar das ganze Jahr über. Das hatte ich damals in Kanada so auch nicht“, erzählt Richie, als wir von der Landseite aus durch die Straßen von Laguna Beach rollen. An vielen Ecken sind kleine Cafés und Bars, die Straßen sind ziemlich belebt, ganz anders, als man es aus den amerikanischen Großstädten kennt.
Als wir wieder bei Richie ankommen, sagt er: „Jetzt will ich dir aber noch einen Grund zeigen, warum ich Laguna so liebe!“ Im nächsten Moment finde ich mich noch mal im Golfcart wieder, neben mir hängt Richies Surfbrett in der Halterung, und wir düsen zum Strand. „Ich bin kein Profi im Stand Up Paddling. Aber SUP macht einfach unglaublich viel Spaß, es ist etwas Besonderes, täglich aufs Wasser zu können und ein paar Wellen zu reiten.“ Mit diesen Worten springt er aufs Board und paddelt raus aufs Meer. Ich mache es mir am Strand bequem. Eine Welle nach der anderen surft Richie bis zum Strand und paddelt dann wieder nach draußen. Meine Gedanken schweifen ab. Ich glaube, ich verstehe inzwischen sehr gut, warum Richie sich Laguna Beach als neue Wahlheimat ausgesucht hat. Trails, Strand, schöne Stadt, gutes Essen, gutes Wetter … Es ist eben ein kleines Paradies. Text & Bild: Jan Volbracht |